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So wie ein textiler Stoff aus ganz verschiedenen Fäden gewebt ist, so wird auch ein literarischer Text von verschiedenen Erzählfäden durchzogen. In der Lektüre biblischer Texte ist dabei im Laufe der patriarchalen Auslegungsgeschichte meistens der „weibliche Faden“ übersehen oder verdrängt worden – darum soll er in dieser Runde hervorgehoben werden.
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Leitung: Jutta Lehnert, Pastoralreferentin
haben im Lateinischen die gleiche sprachliche Wurzel, was auf die Ähnlichkeit in ihrer Grundstruktur verweist:
So lässt sich ein Text als Gewebe aus unterschiedlichen Kett- und Musterfäden verstehen, wie es am Webstuhl entsteht. In der Antike war das die bevorzugte Art, Stoffe herzustellen:
Tragende Kettfäden wurden als Basis in den Webstuhl eingezogen und aufgerollt, die Schussfäden wurden mit dem Weberschiffchen eingewoben und dann mit dem Kamm gestaut. Das fertige Textilstück wurde einfach abgeschnitten und vernäht. Die Kettfäden wurden wieder neu gespannt; der Webvorgang konnte wieder beginnen. Mit Hilfe unterschiedlich gefärbter Schussfäden konnten feiner Muster im textilen Stück entstehen, die bestimmte Farben stärker oder schwächer hervortreten ließen.
Dieser Webvorgang lässt sich für die Analyse eines Textes anwenden:
Bestimmt Erzählfäden treten in den Vordergrund, andere klingen leise an, wieder andere sind nahezu unhörbar. Welche Erzählfäden die Handlungsstränge tragen, welches der „rote Faden“ ist, welche Muster sich verändern, welche Erzählfäden leicht übersehen werden - das herauszufinden ist die spannende Aufgabe der aufmerksamen Lektüre. Die gelingt am ehesten in einer Gruppe, in der unterschiedliche Hörgewohnheiten zusammenkommen.
Dem Text wird man am besten gerecht, wenn man wach bleibt für die Tatsache, dass jeder Text im Zusammenhang seines Kontextes steht oder Produkt seines Kontextes ist: Welche Stimme im Text besonders zu hören sein soll, welche Stimmen übertönt werden, welche Handlungsfäden sich im Muster verändern – das alles hat mit den Einstellungen und Entscheidungen zu tun, die der Autor/die Autorin/die Autorengruppe getroffen haben. Aus diesem Grund finden sich in der Bibel Texte, die im Widerspruch zueinander stehen: Texte sind eben auch Kampfplätze, an denen über die Deutung der Wahrnehmung gestritten wird. Uns Leserinnen und Leser ist aufgetragen, dem Streit nachzugehen und eine idealistische und individualistische Übernahme des Textes zu vermeiden.
So entsteht ein Stoff, der es bis heute in sich hat!